Die orangefarbenen Laufschuhe

Ich war der Typ, der knallorangene Laufschuhe trug und sich groggy an die Startlinie schleppte
Bild erstellt mit Dall-E 2. Prompt: “Painting of an orange Running Shoe with blue socks running in a forest”

Hätte man mich im Jahr 2013 gefragt, ob ich mal einen Halbmarathon über eine Autobahnbrücke mit Blick über die Ostsee laufen würde, hätte ich wohl demjenigen einen Vogel gezeigt. Tatsächlich, Anfang August 2013 lag die Vorstellung, dass ich einmal Laufschuhe tragen werde noch in weiter Ferne. Da lag ich nämlich noch im Krankenbett in der Neurologie in Roskilde. Ich hatte nämlich im reifen Alter von 30 einen Schlaganfall erlitten. Ausgelöst durch eine Venenthrombose im Hirn. Fast eine Woche lang rannte ich mit unerträglichen Kopfschmerzen rum. Ich probierte gefühlt jedes Kopfschmerzmittel, was aufzutreiben war. Mehrere Besuche im Krankenhaus und bei meinem Hausarzt waren Ergebnislos.

Schlaganfall im zarten Alter

Zu deren Verteidigung muss man sagen, dass 30 Jahre kein gewöhnliches Alter für einen Schlaganfall sind. Es sei denn, man ist eine Frau und ernährt sich seit einigen Jahren von Antibabypillen, was bei mir aber nicht der Fall war. 

Irgendwann kam ein Akutarzt auf die Idee ein paar neurologische Eigenschaften zu testen. Ich sollte also die gleichen Übungen machen, welche die Polzei einst für Alkoholtests im Strassenverkehr vorgesehen hatte. Balancegang auf einer Linie, Stehen auf einem Bein, Pirouetten drehen und so weiter.
Das Resultat war eindeutig. Mit grosser Ernsthaftigkeit erzählte mir der Arzt, das Migräne nicht die Diagnose war, die für mich in Frage kommt und er bereits seinen Kollegen in der Neurologie Bescheid gegeben hat, dass ich in Kürze dort erscheinen werde.

Also lag ich in oben genannten Krankenhaus mit einer einsetzenden, halbseitigen Gesichtslähmung.

Meine Balance war miserabel. Essen ging nur So So La La. Lesen, Fernseh schauen, oder Musik hören führten nach kürzester Zeit zu Schwindelanfällen und weiteren Kopfschmerzen. Selbst Toilettengänge wurden unerträglich anstrengend, wenn man alles doppelt sieht, weil meine ohnehin schon Ausgeprägte Tendenz zum Schilen dank der Lähmung völlig ausser Kontrolle geriet. Eines Tages machte ich jedoch die Feststellung, dass wenn ich mir mein linkes Auge zudeckte, dann ging es merklich besser mit dem Laufen. Das war für mich ein Anreiz, auf Erkundungstour in Roskilde zu gehen. Im Krankenzimmer konnte ich ja eh nur rumliegen. Die Touren wurden mit der Zeit länger, und ich bewegte mich immer weiter aus der Stadt hinaus. Einmal kam ich auf stolze 25 Kilometer rund um Roskilde Fjord. Im Gegenzug verbrachte ich den Rest meiner Tage mit Schlafen und Essen.

Warum ich mir die Laufschuhe kaufte

Nach zwei Wochen war es soweit. Ich konnte wieder nach Hause. Da ich krankgeschrieben war, versuchte ich die Zeit für Gartenarbeit zu nutzen. Noch nie sah mein Garten so gepflegt aus. Er tat es auch nimmer mehr. Meist ging aber auch dies nur in Etappen. Wenn ich eine halbe Stunde gearbeitet hatte, musste ich zwei Stunden Schlafen. Meistens kam ich vor 10 gar nicht aus dem Bett. Allerdings gelang es mir immer wieder längere Spaziergänge durchzuführen. Diese waren für meine Genesung unerlässlich. Natur ist tatsächlich ein allheilmittel. Das Rauschen des Meeres oder der Blätter im Wald sind ja nicht umsonst zentraler Bestandteil jeder Meditationsapp. Aber der Wind in den Haaren und die blühenden Landschaften machen das Achtsamkeitserlebnis noch ein bisschen Interaktiver

Ein Freund überredete mich dann irgendwann im Oktober auf eine kurze Joggingtour. Das lief wie erwartet. Schliesslich war ich ja langjährige, professionelle Sofakartoffel. Aber irgendwie hatte ich Gefallen daran. Ich wollte weitermachen. 

Natürlich brauchte ich ein paar ordentliche Laufschuhe. Meine Wahl fiel auf ein paar knallorangene Adidas-Laufschuhe. Ich bin überzeugt, dass man mich bis auf zwanzig Kilometer noch sehen konnte. Sicherheit geht schliesslich vor. 

Auf zum Halbmarathon

Nachdem ich das erste mal 2,5 Kilometer am Stück gelaufen bin, fragte mein Freund, ob ich mit zu einem Halbmarathon am grossen Belt wollte.

Widerwillig sagte ich zu. Manchmal hasste ich meine Impulsivität. Aber noch fiel schwerer fiel es mir mich von einenm einmal gemachten Versprechen einen Rückzieher zu machen. Das war schon immer so.

Es waren nicht allzu lange hin. 9 Monate, oder so. Und ich war noch nichtmal in der Lage zur Arbeit zurückzukehren. Irgendwie hatte ich echt ein Gespür dafür mich in unmögliche Projekte zu verwickeln.

Das Training konnte also beginnen. Aus zwei Kilometern wurden fünf. Die nächsten Monate erkundete ich jeden Fleck in meiner Umgebung. Ich war wie besessen davon neue Routen zu finden. Kein Wald und kein Feldweg war mir unbekannt. 

Eigenes Bild – Faxeløbet

Im April war ich eine Woche lang auf Klassenfahrt mit meinen Schülern in den Bergen nördlich von Malaga. Da bekam meine Ausdauer einen echten Schub. Die Dänen haben es ja nicht so mit Berglandschaften. 

Seit Mai 2014 war ich sogar fast wieder in Vollzeit auf Arbeit.
Und ich lief 5-Mal die Woche mit meinen Laufschuhen im Bauarbeiterlook. 

Irgendwann kam ich auf satte 28 Kilometer. Das war wohl im späten Juli, oder so. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich durch den Heustaub lief, den die Mähdrescher aufwirbelten, wenn sie an den Feldern entlang der Landstrasse ihre Arbeit verrichteten.

Der grosse Auftritt der Laufschuhe

Dann kam der grosse Tag. Der Lauf ging über die Brücke am grossen Belt von Korsør nach Nyborg. Mit 18 Kilometern länge war es einst eine der längsten Brücken der Welt. 18 Kilometer lang in der Twilight Zone zwischen dem Meerwasser der Ostsee, und dem Meerbad von tausenden ambitionierten Läufern wie mir und einigen meiner Freunde. 

Und ich? Ich hatte mir eine fette Erkältung eingefangen. 9 Monate lang habe ich trainiert für ein einmaliges Laufevent. Die Sohlen der Laufschuhe dünngelaufen. Für die Katz. Denkste. So ein Schnupfen würde mich jetzt nicht abhalten. Also stand ich da, an einem aussergewöhnlich sonnigen Septembertag mit meinen mit meinen Bauarbeiterlaufschuhen. Man konnte mich trotz der Menschenmenge schnell ausfindig machen. Ich war der Typ, der knallorangene Laufschuhe trug und sich groggy an die Startlinie schleppte. 

Zu Beginn schien es gut zu Laufen. Nur hat mich das ganze Training nicht darauf vorbereitet, wie man mit der Euphorie bei einem grossen Laufevent umgehen soll. Die ersten 5 Kilometer gingen immer leicht bergauf, denn zuerste mussten wir die Hängebrücke passieren. In meinem Eifer lief ich schneller als gut war. Ich hab mich wohl mitreissen lassen. Das war keine Gute Idee, selbst wenn ich voll Gesund gewesen wäre. Die Rechnung kam am Leuchtturm auf Sprogø, etwa nach 10 Kilometern. Die Füsse fühlten sich an, als ob sie mir irgendein Mafiosi in Beton getaucht hatte, weil ich meine Schulden nicht bezahlt habe.
Meine Atemzüge fingen an denen von Darth Vader zu gleichen. So blieb es dann auch auf die nächsten acht Kilometer. Bei Kilometer achtzehn lief ein Engel an mir vorbei. Na gut, ich bin nicht Gottgläubig, aber eine andere Läuferin erbarmte sich beim Überholvorgang, feuerte mich an un schlappte mich die letzten 3 Kilometer mit ins Ziel. 2 Stunden 58 Minuten. Ich war einer der letzten Ankömmlinge.

Die Laufschuhe sind ausgemustert, die Erinnerung bleibt

Die nächste Woche lag ich dann aber echt Flach. Aber es war das ganze Wert. Es war nicht nur die magische 21-Kilometer Grenze, die es zu knacken galt. Es war auch ein Symbol dafür, dass ich von meinem Schlaganfall voll genesen war. Die Laufschuhe begleiteten mich noch auf drei weitere Halbmarathons. Wann ich sie ausgemustert habe, weiss ich nicht mehr. Aber die orangene Farbe ist eh in meinem Kopf festgebrannt.

Eigenes Bild Broløbet Storebælt
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Alex

Alex

I am from Germany but have spent more than half of my life in Denmark, and other places abroad. I have a background in teaching, both youngsters and adults. I am interested in a wide field of things, which I love to teach and write about. Sustainability, technology, politics, social change, and mental health are just some examples.

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