Opfer von häuslicher Gewalt führen einen einsamen Kampf

Wenn es um die Fürsorge von Opfern häuslicher Gewalt geht sind wir kaum voarwärtsgekommen.
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Die #Metoo-Bewegung ist ein wichtiger Schlüssel dazu, das wir uns mit Übergriffen an Frauen auseinandersetzen. Aber der Weg ist steinig und geht steil bergauf. Denn wenn es um die Fürsorge von Opfern häuslicher Gewalt geht sind wir kaum vorwärtsgekommen.
Am deutlichsten zeigt sich dies an deutschen Familiengerichten und deren Umgang mit Opfern von gewalttätigen Partnern.

Ehrlich gesagt, als Mann hatte ich dies bis vor kurzem kaum auf dem Schirm. Bis ich Carla kennenlernte. Ja, der Name ist aus Sicherheitsgründen geändert worden. Und dennoch verdient die Geschichte es erzählt zu werden. Auch wenn es nur eine von vielen ist.

Der Sohn, der trotz häuslicher Gewalt beim Vater lebt

Carla lebt allein in bescheidenen Verhältnissen. Und sie führt einen einsamen Kampf um ihr Kind. Ihr Sohn, Noah, lebt bei seinem Vater. Der Mann, der Carla gedehmütigt und geprügelt hat. Der ihr mehrfach gedroht hat ihr das Leben zu nehmen. Nach mehren Aufenthalten in Frauenhäusern glaubte sie, dass sie endlich vor ihm sicher ist. Und ihr Sohn auch. Aber es kam ganz anders.

Das Familiengericht entschied, dass Noah beim Vater besser aufgehoben ist. Unabhängig davon, wie viele Beweise und Zeugenaussagen es für das Gewalttätige Verhalten des Vaters gibt. Unabhängig davon, wie viele Zeugen von den Übergriffen am Vater berichten. Und unabhängig davon wie dick die Polizeiakte des Vaters ist.

Zugegeben, Carla ist stark traumatisiert. Und sie hat einige physische Leiden, welche durch das Trauma verstärkt werden. Sie leidet an Depressionen. Verlässt manchmal tagelang nicht ihre Wohnung. Sie lebt von staatlicher Unterstützung. Jeden Monat kämpft sie mit dem Jobcenter, welches ihr die Transportkosten nicht zugestehen will, damit sie ihren Sohn bei einem Umgang mit Begleitung sehen kann.
An Arbeit ist zur Zeit gar nicht zu denken. In dieser Lage kann sie Noah kein zu Hause bieten.

Aber sie weiß auch, dass es Noah nicht gut geht. Und dieses Wissen macht es nur noch schwerer für Carla gesund zu werden. Denn sie muss weiterhin tagtäglich das Trauma aufs neue erleben. Dass ihr Sohn ihr weggenommen wurde und dem Mann übertragen wurde, der Carla und ihrem Sohn tiefe Wunden hinterlassen hat.
Es spielt für das Familiengericht keine Rolle, dass ihr Sohn selbst sagte “Papa ist nicht mein Freund.”

Carlas Sohn ist nur ein Spielball

Für den Vater ist Noah nur ein Spielstein im Spiel um die Dominanz über Carla. Während des Verfahrens vor dem Familiengericht bekam Noah kurz bevor er vor Gericht angehört wurde grosse Geschenke. Hier mal ein Fahrrad, ein anderes mal teure Spielzeuge.

Einmal hat der Vater Noah ein Abhörgerät , versteckt in einem Plüschtier mitgegeben, als die Mutter zum Umgang kam. Ein anderes mal, als Noah noch bei Carla wohnte schenkte er Noah eine Kamera, welche die Bilder geotaggt, und bat ihm Bilder von seinem Kinderzimmer zu schicken. Carla wohnte damals unter einer geschützten Adresse. Diese perfiden Stalkingversuche spielen für das Jugendamt und das Familiengericht keine Rolle. Obwohl sie gut dokumentiert sind.

Trotz der physischen Distanz übt Carlas Ex-Partner also Gewalt durch psychischen Terror aus.

Anfechten kann Carla die Entscheidungen der Jugendämter und Familiengerichte nicht. Ein guter Familienanwalt erfordert Geld, welches Carla nicht hat. Und viele Familienanwälte wollen ein so heißes Eisen nicht anfassen. 

Es bleibt Carla nur eins. Weiter Therapie zu machen, und versuchen, ein neues Leben aufzubauen. Ohne ihren geliebten Sohn. Wohlwissend, dass dieser sich in einer misslichen Lage befindet. Bei einem Vater der nichts von ihm hält. Und ohne dass er seine Mutter sehen darf.

Solange der Kampf dauert hilft dieses Wissen nicht, um die Depressionen zu überwinden. Es macht es viel schwerer. Als außenstehender bewundere ich oft Carlas Mut trotzdem weiterzukämpfen. 

Die Diagnose, die nicht existiert

Es ist ja nicht so, dass Carla nicht alles versucht hätte. Sie hat ihren Partner angezeigt, als sie mit blauen Flecken und im Polizeirevier stand. Sie war auch nicht die erste Frau, die er verletzt hatte. Aber die Anzeigen und die gesicherten Spuren spielten keine Rolle für das Familiengericht. Auch nicht die nachgewiesenen Manipulations- und Stalkingversuche.

Mehr als einmal gelang es aber dem Partner, sie ausfindig zu machen. Danach konnte sie nicht im Frauenhaus bleiben und musste abermals die Adresse wechseln. Auch heute ist ihre größte Angst, dass er sie womöglich sogar umbringen wird, wenn er herausfindet, wo sie wohnt.

Das Gutachten vom Familiengericht attestiert Carla “Bindungsintoleranz”. Aufgrund der wiederholten Anschuldigungen gegen den Vater gefährde sie das Kindeswohl. Und das obwohl die Umgangsbegleitungen attestieren, dass Noah und seine Mutter sich nahestehen.

Dieser Vorwurf ist keine Seltenheit an den Familiengerichten. Die Hypothese hinter der ‘Bindungsintoleranz’ ist, dass die Mutter das Kind mit falschen Anschuldigungen gegen den Vater manipuliert. Nur leider gibt es die Diagnose ‘Bindungsintoleranz’ gar nicht. Sie taucht weder im amerikanischen DSM-V, noch im ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation auf.
Die Theorie hinter dieser Diagnose entspricht nicht einmal annähernd Fachwissenschaftlichen Standards.

Urheber der Idee war ein Amerikanischer Psychologe, Richard Gardner, in den 80’er Jahren. Im Englischsprachigen Raum trägt sie den Namen ‘Parental Alienation Syndrome’, kurz PAS. Mehrere Versuche diese in die Diagnosehandbücher Aufzunehmen sind gescheitert. Nichtsdestotrotz verweisen insbesondere Väterlobbyvereine gerne auf die Arbeit von Richard Gardner. Dieser, stellte sich später heraus, stand der Pädophilie überaus wohlgesonnen gegenüber.

Nichtsdestotrotz wird dieses Konstrukt an deutschen Familiengerichten munter weiterverwendet. Attestiert durch fragwürdige Gutachten. Obwohl diese Praxis gegen Menschenrechte verstößt. Es findet eine Täter-Opfer-Umkehr, wie in Carlas Fall statt.

Der U.N. Menschenrechtsrat kritisiert diese Praxis, welche auch in Deutschland alltäglich ist.

Die Opfer werden weiter traumatisiert – Die Kinder ebenfalls

In Carlas Gerichtsakten steht, dass ihr die Bindungsintoleranz alleine aufgrund der Menge an Vorwürfen, welche Carla gegen den Vater erbringt, attestiert wird. Ein beachtlicher Vorwurf.

Stellen sie sich einmal vor, sie werden auf der Straße ausgeraubt und Krankenhausreif geschlagen. Es wäre absurd zu fordern, dass sie gefälligst mit dem Täter einen Kaffee trinken sollen und so tun als sei nichts vorgefallen.

Das Resultat ist, wie in Carlas Fall eine weitere Traumatisierung. Nicht ein einziger Gutachter, Richter oder Jugendmitarbeiter kommt in Carlas Fall auf die Idee, dass Carlas Anschuldigungen damit zu tun haben können, dass sie wahr sind. Die Polizeiakte interessiert keinen. Auch Zeugenaussagen nicht. Nicht einmal die Aussage der Stieftochter, Carlas erstes Kind aus einer anderen Beziehung, welche aussagt dass auch sie mehrfach von Noahs Vater tätlich angegriffen wurde.

Das Gerichtsgutachten wirft Carla vor, dass sie alles nur frei Erfunden hätte. Auch wenn durch mehrere Klinikaufenthalte und langjährige Therapie bestätigt wird, dass ihr Trauma sehr wohl echt ist. Dass ihre Reaktionsmuster auf keinen Fall mit der Vermutung übereinstimmen, dass alles nur erlogen ist.

Man kann durchaus davon sprechen, dass die Familiengerichte die Opfer häuslicher Gewalt retraumatisieren. Das ist übrigens ein eklatanter Rechtsbruch. Denn diese Praxis verstößt gegen die Istanbul-Konvention, welche auch Deutschland unterzeichnet und ratifiziert hat.

Unsere Familiengerichte schreiben den Opfern häuslicher Gewalt zu, dass sie den Täter dazu bringen die Beherrschung zu verlieren. Dass sie ja selbst irgendwie Schuld haben. Auch Carla wurde unmissverständlich mitgeteilt, dass sie sich lediglich früher hätte von ihrem Partner trennen können.

Das ist die gleiche Argumentation, wenn Vergewaltigungsopfern gesagt wird, dass sie sich zu aufreizend angezogen haben.

Ich kenne Carla seit einigen Monaten. Und es gibt nichts, was für mich darauf hinweist, dass ihre Aussagen nicht stimmen. Im Gegenteil.

Fragwürdige Gutachten

Ein wesentliches Argument, des Gerichts, ist dass es keine Hinweise darauf gibt, dass Noah selbst durch die Handlungen des Vaters gegen Carla geschädigt wurde. Dies entspricht nicht geltender Forschung. Kinder können auch geschädigt werden, wenn sie Gewalt miterleben.

Trotz der Gewaltbereitschaft des Kindesvaters kommt für das Familiengericht ein Gutachten zur Eignung des Vaters nicht in Frage. Nur Carla musste sich diesem unterziehen.
Alle Aussagen des Vaters wurden ungefragt übernommen.
In vielen Fällen darf jeder ein Gutachten schreiben, wenn er vom Richet dazu bestellt wird. Unabhängig, ob dieser auch die Qualifikation dafür besitzt.

Carlas Situation ist kein Einzelfall. Seit 2009 haben die Sorgerechtsentzüge nach einer Scheidung für Mütter um 50 Prozent zugenom­men.

Bei Carla wurde das Gutachten erst pausiert. Dann erschien plötzlich ein neuer Gutachter, der behauptete, Carla persönlich zu kennen. Carla kann sich nicht daran erinnern diese Person jemals zuvor angetroffen zu haben. Danach verlor sie das Sorgerecht.

Es gibt viele Formen häuslicher Gewalt

Die Grundannahme ist, dass ein geteiltes Sorgerecht für das Kindeswohl am besten ist. In vielen Fällen mag das richtig sein. Aber wenn es um Beziehungen mit häuslicher Gewalt geht sollten andere Maßstäbe angelegt werden.

Unterm Strich bleibt es gleich. Die Opfer von häuslicher Gewalt stehen in Sorgerechtsstreitigkeiten alleine da. Der Gewalttätige Partner hat die absolute Oberhand.

Bis in die 1990’er Jahre hinein, wurde häusliche Gewalt noch als Privatsache behandelt. Erst seit 2002 gibt es ein Gesetz zum Schutz von Opfern häuslicher Gewalt in Deutschland.
Bis jetzt ist häusliche Gewalt auch kein eigener Straftatbestand.

Ein grundlegendes Problem ist auch, dass häusliche Gewalt viele Formen annimmt, und keineswegs plötzlich auftritt.

  • Psychiche Gewalt, indem der Täter das Opfer unter Druck setzt, sozial isoliert, oder Drohungen ausspricht.
  • Physiche Gewalt, wie z.B. Schläge, Tritte, bis hin zu Mordversuchen.
  • Sexuelle Gewalt, z.B. Vergewaltigung, oder Erzwingung von sexuellen Handlungen

Im Fall von Carla fing es erst nach der Trennung richtig an. Als Carla keine Wohnung für sich und das Kind fand, bot er ihr an dass sie in seinem Haus gemeinsam wohnen könnte, und er dadurch keinen Unterhalt zahlen müsste. Jetzt hatte der Kindesvater die komplette Verfügungsgewalt. “Tu was ich sage, oder du landest auf der Straße.”

Der Vater versuchte immer mehr Carlas Umfeld zu manipulieren, um Carla zu isolieren. Nach und nach wandten sich Freunde, und sogar Familie von Carla ab. Selbst heute hat Carla nur wenige Freunde, und auch zu ihrer eigenen Familie war sie gezwungen den Kontakt abzubrechen. Ihre eigene Mutter hatte einmal sogar ihren Aufenthaltsort im Frauenhaus an den Ex-Partner weitergegeben. Zu ihr hat Carla keinen Kontakt mehr.

Die Kinder sind die Leidtragenden

Carlas Sohn, Noah ist sichtlich belastet von der Situation. Häufig berichtet Carla, wie der Sohn Fragen stellt, welche Carla laut Gerichtsbeschluss nicht beantworten darf. “Warum bist du so weit weg, Mama?” “Warum dürfen wir uns nicht öfter sehen?, Mama?” “Papa sagt, du bist schwer Krank, stimmt das, Mama?”

Carla darf darauf nicht eingehen. Wenn sie es tut, wird ihr das Familiengericht abermals vorwerfen, dass sie das Kind zu Ungunsten des Vaters manipuliert. Es ist eine schwierige Situation. Wann immer Carla von einem Umgang zurückkommt, trauert sie, und fühlt sich hilflos.

Der Verfahrensbeistand hat vor kurzem dem Gericht mitgeteilt, dass das Kind weiter beim Vater bleiben sollte. Abermals wird den Aussagen der Mutter und den Beweisen für das, was ihr Ex-Partner ihr angetan hat keine Beachtung geschenkt. Carla hat gefühlt alles versucht, um ihren Sohn zurückzubekommen. Sie hat sogar angeboten in eine betreute Wohngemeinschaft mit ihm zu ziehen. Ohne Erfolg. Ihr Sohn darf sie weiterhin nur einmal alle 1-2 Monate mit Begleitung sehen.

Der einsame Kampf für die Opfer häuslicher Gewalt geht weiter

Der Kampf ist zermürbend. Und Carla steht allein gegen das System, welches Opfer häuslicher Gewalt unterstützt. David gegen Goliath in Reinform. Manche Tage fühlt sich Carla aber eher wie Sisyphus. Doch es führt kein Weg daran vorbei. Carla wird weiter ihre traumatischen Erlebnisse in der Therapie bearbeiten. Sie wird sich weiter um ihre physichen Leiden kümmern. Und sie wird immer wieder versuchen Widersprüche gegen die Entscheidungen der Familiengerichte einzureichen. Auch ohne juristischen Beistand.

Bald will sie wieder umziehen. In die Nähe des Sohnes, um mehr Umgang zu erhalten. Auch wenn das mit einem großen Risiko für ihre eigene Sicherheit einhergeht.

Carla ist nicht die einzige, die diesen Kampf führen muss. Auf das System können Mütter wie Carla nicht zählen. Der Kampf aber geht weiter.

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Alex

Alex

I am from Germany but have spent more than half of my life in Denmark, and other places abroad. I have a background in teaching, both youngsters and adults. I am interested in a wide field of things, which I love to teach and write about. Sustainability, technology, politics, social change, and mental health are just some examples.

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