Ruinen

Es war gar nicht so einfach, die gute Stimmung vor seinem Sohn zu bewahren, als sie ihre Runde durch die Stadt drehten. Noch immer war die Stadt nur ein Schatten ihrer selbst. Vereinzelte Gebäude waren noch intakt, aber die meisten waren nur Ruinen oder zeigten zumindest große Schäden.

“Da bin ich einst zur Schule gegangen.”, sagte er zu seinem Sohn, als er auf ein Ruine zeigte. Eigentlich war an dieser Ruine nichts besonderes. Ach sie war genau wie alle anderen Ruinen ringsum. Eine halbe Mauer, mit einem offenen Fenster.

Gerümpel und Mauerbocken verstreuten sich rings herum. Lediglich das ausgebrannte Smartboard und die einsame Schulbank deuteten darauf hin, dass dieser Geröllhaufen einmal eine Schule war.

Sein Sohn ging nicht zur Schule. Nicht weil er nicht alt genug war. Oder das Intellektuelle Vermögen besaß. Im Gegenteil. Der Grund, warum sein Sohn nicht zur Schule ging war viel einfacher zu erklären. Es gab keine funktionierenden Schulen in der Gegend. Deswegen bestand der einzige Unterricht, den sein Sohn bekam, aus dem, was er ihm selbst zu hause vermitteltn konnte.

So ging es auch vielen der gleichaltrigen Spielkameraden seines Sohnes.

Der Junge schaute zum Vater hinauf und sah, wie ein Träne sich durch den dichten Vollbart windete.

“Bist du traurig, Papa?” fragte der Sohn.

“Ein wenig.” kam die Antwort. “Es war eine schöne Zeit, vor dem Krieg. Und manchmal wünsche ich mir, dass es wieder so sein könnte.”
“Aber hier ist es doch auch schön, oder? Du hast ja mich!”, sagte der Junge voller Mitgefühl. 

Wie Recht sein Sohn hatte. Ja, die Stadt bestand fast nur noch aus Ruinen. Aber sie hatten immerhin ein Dach über den Kopf. Und sie waren eine Familie. Sie waren Teil einer guten Gemeinschaft, welche sich im alten Gasthaus eine neue Existenz schaffte.

Außerdem blieb ja auch nichts anderes übrig als zu akzeptieren, dass die Dinge nun einmal nicht mehr so waren wie früher. Es gab ja auch nichts, was man hätte tun können, um die Zeit zurück zu drehen. 

Sie hatten Essen, Familie, Freundschaft. Mehr brauchte man nicht. 

Genau genommen war das ja immer schon so, schoss es ihn durch den Kopf. Nur vor dem Krieg waren alle wohl einfach zu verblendet, um das zu bemerken.

Das Leben schien so unbeschwert, als es noch möglich war uneingeschränkt zu konsumieren und man jeden Wunsch erfüllen konnte, sofern man das Geld dazu besaß.
Aber die meisten Gadgets, die nach der alle damals trachteten, waren jetzt eh nutzlos.

Aber es war halt trotzdem schmerzhaft. Die Vergangenheit loszulassen tut immer weh.

Es gab  keine Zivilgesellschaft mehr. Keine Nationalstaaten. Das einzige was jetzt zählte war die kleine Gemeinschaft, zu denen er und sein Sohn gehörten. Und das Glück, welches sie verband.

“Komm, wir müssen uns noch um die Tomaten kümmern, sagte er zu seinem Sohn. Das kleine Händchen reichte nach seinem Finger. Wieder bahnte sich eine Träne durch den Urwald im Gesicht. Er schaute noch einmal zurück. Das offene Fenster in der zerstörten Hauswand reflektierte das Sonnenlicht, sodass er blinzeln musste.

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Alex

Alex

I am from Germany but have spent more than half of my life in Denmark, and other places abroad. I have a background in teaching, both youngsters and adults. I am interested in a wide field of things, which I love to teach and write about. Sustainability, technology, politics, social change, and mental health are just some examples.

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