Gewalt gegen Frauen hört auch nach der Flucht nicht auf
Anfang dieser Woche war ein besonderer Tag. Vielleicht ist es vielen nicht bewusst gewesen. Aber dieser Tag ist der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen.
Dies gabe mir die Inspiration, mich noch einmal mit der Thematik auseinanderzusetzen,
Irgendwann im letzten Jahr schrieb ich über Carla und ihren Sohn und ihrem einsamen Kampf um ihren Sohn.
Seitdem hat sich nicht viel verbessert. Deutschland hält die Istanbul-Konvention immer noch nicht ein.
Carla ist es inzwischen gelungen umzuziehen, in eine neue Stadt. Jetzt ist sie nicht mehr so weit entfernt von ihrem Sohn. Und gleichzeitig steigt damit die Gefahr, dass sie ihrem gewalttätigen Ex nochmals ausgesetzt ist.
Bis jetzt hat sich die Hoffnung, ihren Sohn öfter zu sehen nicht erfüllt. Es ist jetzt drei Monate her, dass sie ihn das letzte Mal gesehen hat. Und jedes Mal fällt es ihr schwer, damit umzugehen, dass der Kindesvater alles tut, um die wahre Lebensgeschichtre ihres Sohnes zu verschleiern. Keiner scheint für das Recht des Kindes zu kämpfen, seine Mutter zu sehen.
Also kämpft Carla weiter. Allein.
Bei Gewalt gegen Frauen stellen wir die falschen Fragen
Wenn von Gewalt gegen Frauen die Rede ist stellt sich für viele Menschen immer eine Frage. “Warum ist die Frau nicht früher gegangen?” Diese Frage wird nahezu jeder Frau gestellt, welche vor ihrem gewalttätigen Partner fliehen muss.
So nachvollziehbar diese Frage auch scheint, so falch ist sie dennoch. Und das aus mehreren Gründen. Zuallererst ist es bezeichnend, dass wir das Opfer mit Fragen konfrontieren. Wir könnten ja auch die Männer fragen, welche Gewalt gegen Frauen ausüben, warum sie dies tun.
Trotzdem lohnt es sich diese Frage zu beleuchten. Und In Carlas Geschichte finden wir einen Teil der Antwort.
Als Außenstehende gehen wir oft davon aus, dass das Opfer nach dem Verlassen des Täters einfach sein Leben neu beginnen kann. In Filmen und Serien endet die Geschichte oft mit der Flucht ins Frauenhaus oder an neuen Wohnort.
In der Praxis ist dies selten der Fall. Insbesondere, wenn auch Kinder im Spiel sind. Oft ist die Flucht ins Frauenhaus nur der Anfang.
Es ist keinesfalls selten, dass Mütter, welche mit ihren Kindern ins Frauenhaus flüchten der Kindesentführung bezichtigt werden. Den Opfern wird meist nicht geglaubt, dass die Gewalt stattgefunden hat. Oder die Familiengerichte behaupten, dass die Gewalt ja nur gegen die Frau und nicht gegenüber dem kind ausgeübt wird. Auch wenn es inzwischen mehr als erwiesen ist, das erlebte Gewalt bei Kindern zu einer Traumatisierung führen kann.
In vielen Fällen geben die Täter selten auf
Es gibt einen guten Grund, warum Frauenhäuser meist anonym sind. Denn inn den meisten Fällen endet die Gewalt gegen Frauen nicht mit der Flucht.
Die Männer, welche die Gewalt ausüben geben selten einfach auf. Stalking ist bei ihnen ein gängiges Verhalten. Und sie versuchen oft alles, um ihre Opfer aufzuspüren.
Carla musste in mehreren Frauenhäusern Zuflucht suchen. Immer wieder gelang es dem Ex-Partner sie aufzuspüren. Mal heuerte er andere Personen an, um ihr nachzuspionieren. Mal versteckte er Überwachungsinstrumente in Kinderspielzeugen.
Und diese Männer schrecken auch nicht davor zurück die eigenen Kinder zu diesem Vorhaben zu instrumentalisieren.
Noch heute lebt Carla jeden Tag in Angst davor, was ihr gewalttätiger Ex ihr antun könnte.
Die wenigen Male, die sie ihren Sohn sieht, erlebt sie, wie ihr Ex versucht, ihren Sohn mit Lügen und Manipulationen über seine Lebensgeschichte zu beeinflussen.
Gewalt gegen Frauen hinterlässt tiefe psychische Spuren bei den Opfern
Auch wenn die Gefahr erstmal gebannt ist, ist für viele Opfer der Kampf nicht zu Ende.
Beziehungen aufzubauen und zu pflegen, selbst rein platonische, ist nach einer solchen Erfahrung schwierig. Das Vertrauen in andere Menschen ist erstmal zerbrochen. Und selbst kleine äußere Reize können Panikattacken auslösen.
Dies ist auch für etwaige neue Partner eine große, psychische Belastung. Das aufzuarbeiten erfordert viel Therapie und vor allem Geduld. Auch bei Freunden und Angehörigen des Opfers.
Jeder Ausflug, jedes Date, jedes Fest kann zu einer Belastungsprobe für alle Beteiligten werden.
Auch für Carla war die Flucht ins Frauenhaus nicht das Ende. Es war der Beginn einer viel längeren und härteren Reise, deren Ziel bis heute niemand kennt.
Und Carlas Geschichte ist nicht einzigartig. Die meisten Frauen, die aus gewalttätigen Beziehungen ausbrechen, erleben ähnliche Kämpfe. Tief im Inneren wissen sie, dass genau das auf sie zukommt, wenn sie den Versuch wagen, zu gehen.
Die Opfer von Gewalt gegen Frauen erleben oft Mißtrauen
Auch in Jugendämtern und Familiengerichten wird die Gewalt gegen Frauen oft fortgeführt. Den Opfern wird kein Glauben geschenkt. Ihnen werden Scheindiagnosen wie PAS attestiert, wenn sie die Gewalt im Verfahren ansprechen.
Sicherheitsbedenken werden leichtfertig ignoriert. Geschützte Adressen der Opfer werden an die Täter weitergereicht. Viele Jugendämter versuchen Fälle wie Carlas als “Hochstrittig” zu reframen. Das Opfer soll also Schuld daran sein, dass sie vor ihrem Täter Angst hat.
Es herscht noch immer eine unglaubliche Ingnoranz und Inkompetenz bei Jugendämtern und Familiengerichten in Fällen von Gewalt in Beziehungen. Es herscht kein Verständnis über die Dynamiken gewalttätiger Beziehungsmuster.
Familienrichter und Sachbearbeiter glauben bedenkenlos jede Lüge der Täter und geben dem Opfer die Schuld. Sie behaupten, die Kinder schützen zu wollen. Stattdessen machen sie sich zu willigen Gehilfen der Täter.
Ich habe in meiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen so einiges erlebt. Zum Beispiel Jugendamtsmitarbeiter, dennen nicht einmal bekannt war, dass es überhaupt eine Kinderrechtskonvention gibt, und diese eigentlich von Deutschland ratifiziert wurde.
Nein, wir sind noch weit davon entfernt das Problem von Gewalt gegen Frauen zu lösen. Wir müssen weiterhin den Fokus auf dieses Thema lenken. Und wir sollten endlich aufhären die falschen Fragen zu stellen.
Die Frage, die wir stellen sollten, ist nicht, warum die Opfer nicht früher gegangen sind. Wie wäre es, wenn wir stattdessen die Täter fragen, warum sie Gewalt gegen Frauen ausüben und ihre Opfer missbrauchen?